„Was ist aus all dem geworden?“ fragst Du. Ich senke den Kopf. Ich habe ein schlechtes Gewissen. Ich war, ich bin Teil der Maschine. Es gibt Dinge, die werde ich mit ins Grab nehmen.
Im Geiste Verrat, im Herzen wahrhaftige Liebe, im Handeln Verzweiflung. Und immer wieder sehe ich uns trotzdem nach den Sternen greifen. Es geht nicht schnell genug und ich möchte in die Welt laufen, mit Dir, mein corazon. Das meine ich ernst. Der enge stumpfe, verklebte Mief deutschtümeligen Obrigkeitsglaubens, Duckerei und unterdrückter Aggression. Das alles will ich nicht. Ich muss atmen, tief und lang. Warme Sommerluft, die nach Stroh und Gewitter riecht, möchte ich atmen, mit Dir zusammen am liebsten. Die Steine, die alten vermoosten Steine endloser Mauern möchte ich riechen und einen Witz machen über den Du wieder lachen kannst. Ich bin das alles hier so leid. Wurden wir nicht geboren, um zu zeigen, wie wir über uns hinaus wachsen? Wie wir aus Luft Poesie und Leichtigkeit schaffen? Wie wir schöpferisch das Leben mit erhobenem Haupt und mutigen Schritten durchschreiten? Wie wir uns gegenseitig brüderlich im Geiste unbestechlich und ohne einen einzigen faulen Kompromiss zu Höherem, gar auf eine Metaebene, befähigen?
„Was ist aus all dem geworden?“ fragst Du wieder. Deine Blicke durchbohren mich. Sie schimmern – neugierig und anklagend zugleich. Ich fühle mich, als ob man mir die Luft abgesaugt, die Gedanken umgeknickt, den Esprit vergiftet. Alles rast vorbei, nichts lässt sich fassen, alle lachen, führen Krieg, lesen eifrig Illustrierte, kleiden sich in geborgten Worthülsen, beten Produktslogans nach und blicken abwesend durch mich hindurch. Ich löse mich auf. Ich werde nicht-existent. Blasse aus. Langsam. Oder sind es die Anderen? Das Leben wird zur Beta, zur Shareware und niemand versteht eigentlich noch irgendwas, weil alles irgendwann als blosse Kopie in und an sich beliebig wurde. Der Blick in das klare Wasser, den tiefen Teich, das tobende Meer, durch salzige Luft. Das alles spiegelt sich in Dir. In unzähligen Möglichkeiten spaltet sich die Zukunft, in die ich einem Schiff gleich gleite. Geht schon. Fort mit Euch. Es sollte immer schon mehr sein, als uns einfach nur glücklich zu sehen. Es waren nicht die guten Noten, erfolgreiche Jobs und smarter Smalltalk in Meetings deren einziges Ziel eine nie enden wollende Beweihräucherung des Status Quo, eine Festigung der Struktur darstellt. In der die Idee nicht zählt, sondern Ihr Autor. Ihr habt auf das falsche Pferd gesetzt, meine Damen, meine Herren. Eure Unentschlossenheit lässt Euch keine Fehler begehen, da seid Ihr Euch außnahmsweise entschieden sicher. Kein Wagniss. Wer wagt, gewinnt schon lang nichts mehr. Offenbarung findet Ihr hier nicht und keine Vergebung. Ich fahre durch die Straßen und blicke auf den Gehsteig. Mehr als aller Erfolg, als Geld, Ansehen, Ruhm, Respekt, mehr sogar als Dein Lachen sehe ich in einem Bild. Eine Junge Mutter schimpft mit ihrem kleinen Sohn. Die ältere Dame bemerkt sie nicht. Ihre faltigen Hände streichen dem Kind über dem Kopf. Der Kleine lächelt sie an. Ihre Augen spiegeln tiefe, ehrliche Zuneigung, Mitgefühl – und Schmerz. „Was ist aus uns geworden?“ hör ich sie murmeln.
Last Day Dream [HD] from Chris Milk on Vimeo.
Ist das von Dir? Sehr gut! – jedoch vergiss nicht die Zukunft, die positive;-)
Im Leben vermischen sich „Positiva“ und „Negativa“ auf ab und zu wundersamste Art und Weise. Was dann noch was ist, wird schwer trennbar.
Wooow! Sehr schön in Worte gefangenes Gefühl! Kam mir sehr nahe beim Lesen!