„Zielpublikum“: wie KI an der Front Tempo, Taktik und Verantwortung verschiebt
Liebe Neugierige, Kreative, Entdecker*innen,
in den Nachrichten erreichen uns täglich Bilder von Verwüstung, Flucht und Leid. Doch jenseits der sichtbaren Frontlinien hat sich eine neue, unsichtbare Ebene etabliert: Algorithmen, Code und KI-Systeme prägen zunehmend die Dynamik des Schlachtfelds. Es entsteht eine Kriegsführung, in der Entscheidungen über Leben und Tod nicht mehr ausschließlich durch Menschen gefällt werden. „Human in the loop“ scheint immer mehr als optionaler- und nicht als ethisch unabdingbare Grundvoraussetzung für bewaffnete Konflikte zu gelten. Krieg kippt die Innovationslandkarte – nicht aus Begeisterung für Innovation, sondern aus brutaler Notwendigkeit. In der Ukraine beobachten wir gerade, wie aus Basteltischen, Software-Stacks und improvisierten Produktionslinien ein völlig neues Gefüge aus Drohnen, Sensoren, KI und Elektronik für Kriegsführung entsteht – ein Tech-Krieg, der Taktik, Logistik und Ethik neu schreibt. Oder, um US Air Force Stratege John Boyd zu paraphrasieren:
„People, ideas, hardware – in that order.“
Schauen wir genau hin – jenseits von Schlagworten, mit nüchternem Blick auf Daten, Effekte und Lernkurven. Aldous Huxley warnte einst:
„Technologischer Fortschritt hat lediglich effizientere Mittel bereitgestellt, um rückwärts zu gehen.“
Heute, wo wir es zunehmend mit Waffensysteme zu tun haben, die ohne menschliche Hand den Abzug ziehen könnten, wirkt sein Mahnruf aktueller denn je.
Die kalte Logik des Krieges – Wenn Algorithmen über Leben und Tod entscheiden
Der Ukraine-Krieg entfaltet sich längst nicht mehr nur in Schützengräben, sondern gleichermaßen in Software-Stacks. Drohnen, autonome „Loitering Munitions“ und KI-gestützte Sensoren haben eine neue Art der Kriegsführung etabliert, die Geschwindigkeit und Präzision verspricht – und doch vor allem eines bringt: eine Entmenschlichung des Krieges.
Drohnen als Speerspitze des Tech-Krieges
Seit 2025 häufen sich belegte Berichte über ukrainische Drohnen, die Ziele tief im russischen Territorium autonom anfliegen – auch bei massiven GPS- oder Funkstörungen, gestützt durch Onboard-KI für Navigation, Zielerkennung und Präzisionstreffer (Riffreporter). Auf russischer Seite wiederum wird die neue V2U-Loitering-Munition eingesetzt: ausgestattet mit Jetson-Orin-Modulen, Edge-KI und mutmaßlicher Schwarmfähigkeit. Jetson‑Orin‑Module sind kompakte KI‑Rechner (System‑on‑Module) von NVIDIA, die speziell für Edge‑Computing, Robotik, autonome Maschinen und eingebettete KI entwickelt wurden. Sie kombinieren eine leistungsfähige GPU auf Basis der NVIDIA‑Ampere‑Architektur mit ARM‑CPUs, Beschleunigern für Deep Learning und Computer Vision sowie schnellen Schnittstellen – alles in einem energieeffizienten Modul. Diese Module wurden laut Forbes nach Russland geschmuggelt und dort in die V2U-Loitering-Munition eingebaut. Erste dokumentierte Einsätze umfassten Schwärme von sieben gleichzeitig eingesetzten Drohnen, die Angriffe koordiniert vortrugen (Long War Journal).
Schwärme, See- und Landroboter: Krieg auf allen Ebenen
Ob ukrainische Seestreitkräfte mit KI-gesteuerten Marinedrohnen („Magura V5“, „Sea Baby“) gegen die Schwarzmeerflotte (AI-Frontiers) oder Bodensysteme mit Mustererkennung zum Minenräumen (Wes O’Donnell) – KI ist längst nicht mehr Assistenz, sondern operative Akteurin. Besonders brisant: Schwarmtaktiken, die Defensivsysteme überlasten und durch KI getriebene Selbstorganisation einen taktischen Vorteil ermöglichen.
Experimentierfeld „Frontlinie“
Die Ukraine erlaubt westlichen Rüstungsfirmen, neue Systeme direkt im aktiven Gefecht zu testen (Tagesspiegel). Private Akteure wie Start-ups oder Konzerne agieren somit als Schlüsselmachtfaktoren – ohne demokratische Kontrolle, aber mit massivem Einfluss auf die Kriegsdynamiken. KI-basierte Zielerkennungssysteme wie das ukrainische „Avengers“-Programm identifizieren Ziele in Sekunden und erlauben es einem Operator, gleich mehrere unbemannte Systeme gleichzeitig zu steuern (Cairo Review).
Menschlicher Kontrolle?
Die Grenze zwischen „human-in-the-loop“ und autonomer Kriegsführung verschiebt sich dramatisch. Internationale Akteure wie das International Committee of the Red Cross (IKRK) warnen ausdrücklich, dass der Ukraine-Krieg zum globalen Testfeld für letale autonome Waffensysteme (LAWS) geworden ist – und dass unter Gefechtsdruck menschliche Aufsicht zunehmend verschwindet (Netzpolitik).
Der Mythos des „präziseren“ Krieges
Verfechter dieser Technologie argumentieren, KI ermögliche größere Präzision. Tatsächlich sind dokumentierte Trefferquoten autonomer Systeme weit höher als die von Menschen gesteuerter Angriffe. Aber verbessert Präzision allein die Humanität des Krieges? Wenn das Töten automatisiert abläuft, sinkt zugleich die Hemmschwelle, Gewalt einzusetzen. Analysten sprechen daher von eine“